Karl-Theodor zu Guttenberg [CSU]

Sehr geehrter Herr Scheibelhut,

herzlichen Dank für Ihre Zuschrift, in der Sie sich für die Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene einsetzen. Gerne will ich Ihnen einige Gedanken zu diesem Thema anbieten, die gleichwohl von Respekt für andere Auffassungen getragen sind.

Die Demokratie lebt von dem Interesse und der Mitwirkung der Bürger an der politischen Entscheidungsfindung. Selbstverständlich muss sich die Politik übrigens selbstkritische Gedanken darüber machen, wie sie die Bürger näher an die politischen Entscheidungsprozesse heranführen kann. Die entscheidende Frage ist, mit welchen Mitteln das auf den verschiedenen staatlichen und kommunalen Ebenen am besten gewährleistet werden kann. Auf kommunaler Ebene mag es für Modelle der Volksgesetzgebung einige sehr gute Gründe geben. Bei den dort zu entscheidenden Fragen geht es in aller Regel um Sachverhalte, über die sich alle Bürger der Gemeinde - oder eines Gemeindeteils - ohne übermäßigen Aufwand informieren können und von denen die meisten Gemeindebürger auch selbst betroffen sind. Die Situation auf Bundesebene ist jedoch damit schwer vergleichbar. Die Komplexität der Materien ist auf Bundesebene in aller Rege! ungleich größer. Den Bürgern wäre es aufgrund des damit verbundenen Aufwands in den meisten Fällen kaum zuzumuten, sich in die Einzelheiten der zur Abstimmung stehenden Fragen einzuarbeiten. Zudem sind - anders als in einer Gemeinde - auf Bundesebene in vielen Fällen Fragen zu entscheiden, von denen jeweils nur bestimmte kleine Gruppen der Bevölkerung betroffen sind. Die Mehrheit der Bevölkerung würde sich für solche Volksbegehren nicht interessieren. Es bestünde deshalb die Gefahr, dass in solchen Fällen eine verschwindend kleine Minderheit Ziele durchsetzen könnte, die dem Gemeinwohl geradezu zuwiderlaufen.

Um das Ganze an einem aktuellen Beispiel einmal zu verdeutlichen: Hätte man die Frage, ob in der aktuellen Finanzmarkt- und Bankenkrise die Bundesrepublik Deutschland eine Staatsgarantie für ein Institut wie die Immobilienbank Hypo Real Estate eingehen soll, der Volksabstimmung unterworfen, wage ich die Hypothese, dass das Ergebnis ein negatives gewesen wäre. In solchen Fällen würde der erste Impuls zahlreicher Abstimmungsberechtigten höchstwahrscheinlich dahin gehen, ein Einstehen der Öffentlichen Hand für privatwirtschaftlich verursachte Fehler und Verluste abzulehnen. Eine solche Position - gewissermaßen „aus dem Bauch heraus" - könnte ich bei erster überschlägiger Beschäftigung mit dieser Frage sogar gut nachvollziehen. Dennoch glaube ich, dass die Übernahme einer Staatsbürgschaft in diesem Fall richtig ist, weil ein Zusammenbruch eines derart großen Immobilienfinanzierers zu einer massiven Schieflage des deutschen Bankensystems geführt hätte. Diese Schieflage hätte wahrscheinlich unabsehbare Folgen für Millionen von Sparern und Darlehensnehmern in Deutschland mit sich gebracht. Ich bezweifle aber, dass die Abstimmungsberechtigten bei einer Volksabstimmung zu dieser Frage über die notwendigen Informationen verfügen würden, um die Situation und ihre Tragweite für die Gesamtheit des deutschen Finanzsystems einschließlich der Sparer und Kreditnehmer angemessen einschätzen und dann auf dieser Grundlage entscheiden zu können.

Ich glaube auch nicht, dass mit einer Einführung der Volksgesetzgebung auf Bundesebene vor allem die Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger selbst auf politische Entscheidungen nennenswert gestärkt würde. Ich bin aber umso mehr davon überzeugt, dass die Volksgesetzgebung auf Bundesebene vor allem den Einfluss der organisierten Interessenvertreter, der Verbände und Lobbyisten auf die Gesetzgebung des Bundes massiv verstärken würde Die organisierten Interessenvertreter könnten und würden ihr erhebliches Mobilisierungs- und Kampagnenpotential im Rahmen von Volksabstimmungen aller Voraussicht nach dazu nutzen, um auf diesem Wege ihren Sonderanliegen zu Gesetzeskraft zu verhelfen. Auf diese Weise könnten Interessenvertreter bei geschickter Öffentlichkeitsarbeit Gesetze durchsetzen, ohne dafür parlamentarische Mehrheiten gewinnen zu müssen und ohne dass sich die Mehrheit der Bürger für das jeweilige Anliegen im konkreten Fall auch nur zu interessieren bräuchte. Letztlich könnten auf diese Weise auch die politischen Parteien solche Gesetze durchsetzen, für die auf parlamentarischem Wege nicht einmal annähernd eine Mehrheit gewonnen werden könnte. Darin kann ich keine Stärkung der Demokratie erkennen.

Ich denke, unser Grundgesetz hat sich in seiner Geschichte mit seinem Modell der parlamentarischen Demokratie durchaus bewährt. Fehlerfreies Handeln gibt es freilich nie. Wir sollten dieses Erfolgsmodell nicht leichtfertig durch unausgewogene Vorschläge für eine sogenannte Volksgesetzgebung aufs Spiel setzen.

Mit freundlichen Grüßen

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Obwohl es auf Landesebene

Obwohl es auf Landesebene bereits die Möglichkeit für dreistufige Volksentscheide gibt, ist Berlin im Moment das einzige Bundesland, in dem der Abstimmungsgegenstand nicht notwendigerweise ein Gesetzesentwurf sein muß.

Gerade hier sehe ich aber das größte Potential für direkte Volksentscheide – eben nicht nur Gesetzentwürfe sondern auch andere politische Richtungsentscheidungen durch die Bürgerschaft direkt abstimmen zu lassen.

Ich selbst komme aus Baden-Württemberg und wohne in der Nähe von Stuttgart. Dadurch war ich Zeuge, wie die CDU-Landesregierung das Milliardenprojekt Stuttgart 21 gegen eine große Bürgerinitiative und Protestwelle durchsetzte. Das Projekt wird nun den Kern unserer Landeshauptstadt für die nächsten 13 Jahre in eine Großbaustelle verwandeln und dabei mehrere Milliarden verschlingen. Der bisherige Kopfbahnhof soll in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgewandelt werden.

Aus meiner Sicht gab es zahlreiche, allesamt bessere Bauentwürfe und so sahen es auch die Menschen in meiner Umgebung. Auch Menschen, die ich kenne und die seit Jahren CDU wählen, wollen Stuttgart 21 in dieser Form nicht. Ich persönlich kenne keinen einzigen Befürworter des Projektes.

Die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 erreichten regelmäßig eine Teilnehmerzahl von 5 bis 10.000 Menschen und eine Unterschriftensammlung brachte es auf beachtliche 62.000 Unterschriften gegen das Projekt. Ich bin sicher, dass mit der Berliner Regelung und damit einer Aussicht auf Erfolg, die Zahl der Unterschriften um ein Vielfaches höher gewesen wäre. So allerdings herrschte mehrheitlich ein Gefühl der Machtlosigkeit. Keiner will es aber man kann ja ohnehin nichts machen...
Auch die Landesregierung bemühte sich frühzeitig, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass das Projekt bereits beschlossene Sache sei.

Durch die in Baden-Württemberg geltende Regelung für Volksbegehren konnte und durfte der Protest durch den Stuttgarter Senat und die Landesregierung ignoriert werden. Der gewaltige Protest gegen Stuttgart 21 ist eben kein Gesetzentwurf sondern bezieht sich „nur“ auf eine wichtige politische Richtungsentscheidung.

Deshalb möchte ich die Initiatoren der Petition bitten, den Inhalt der vorliegenden Fassung zu überdenken und, wenn möglich derart zu ändern, das gemäß dem Berliner Modell auch andere politische Richtungsentscheidungen zum bundesweiten Volksentscheid gebracht werden können. Gerade hier sehe ich das größte Potential des plebiszitären Prinzips.

Auf der Seite http://www.volksentscheid.de habe ich gesehen, wie knapp die Umfrage von ‚Mehr Demokratie‘ die Zahl der Befürworter im Bundestag an der 2/3 Mehrheit sieht. Gerade deshalb sehe ich die derzeitige Beschränkung der Petition auf Gesetzentwürfe als unnötige Einschränkung an, die das tatsächliche Potential der Idee nicht voll ausnutzt.

Die Bedenken der CDU/CSU Fraktion im allgemeinen, sowie auch die ausführlichen Argumente von Herrn zu Gutenberg gegen die Einführung plebiszitärer Elemente
auf Bundesebene sind allerdings für mich sehr schlüssig. Sicherlich besteht bei einem nicht ausreichend großen öffentlichen Interesse an einer zur Abstimmung gebrachten Vorlage die Gefahr, dass sich eine Minderheit in einem Volksentscheid durchsetzt. Ich denke dabei vor allem an die Gefahr, das Rechtspopulisten eine solche Regelung für ihre Sache ausnutzen könnten.

Deshalb möchte ich für die laufende Petition vorschlagen, die Zahl der zum Volksentscheid notwendigen Unterschriften drastisch zu erhöhen. Für Abstimmungen auf Bundesebene erscheinen mir 2 Millionen als guter Wert, auf Landesebene vielleicht 200.000. Diese Zahl hätte die Protestwelle gegen Stuttgart 21 leicht erreichen können, wenn die Bürger an einen möglichen Erfolg geglaubt hätten. Gleichzeitig ist es ein guter Wert, um ein von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerktes Vorpreschen einer Minderheit zu verhindern.

Gleichzeitig wäre eine Erhöhung der Mindestunterschriftenzahl auch ein gutes Argument, mit dem sich vielleicht einige Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion überzeugen ließen.

Das es in Berlin funktioniert und auch bundesweit funktionieren kann zeigt meiner Meinung nach eindrucksvoll die Abstimmung über den Erhalt des Flughafens Tempelhof. Zu meinem persönlichen, großen Bedauern wurde der Erhalt des Flughafens von den Berliner Bürgern abgelehnt. Für mich, und bestimmt für viele andere auch, hätte seine historische Bedeutung für einen Erhalt gesprochen.

Gleichwohl war der Volksentscheid Tempelhof ein echtes Beispiel für gelebte Demokratie, mit einer Wahlbeteiligung von fast 2,5 Millionen. Und das Ergebnis hat gezeigt, dass sich Minderheiten in solchen Abstimmungen nicht durchsetzen können und das den Berlinern der Flughafen und seine geschichtliche Bedeutung wohl doch nicht so wichtig ist.

Abschließend möchte ich das riesige Potential aufzeigen, das die direkte Demokratie meiner Meinung nach hätte, wenn sie nicht „nur“ Gesetzesinitiativen sondern auch allgemeinen Richtungsentscheidungen zur Durchsetzung verhelfen könnte.

Stellen sie sich vor, das, in einigen Jahren, die Idee mit der ihr zukommenden Begeisterung, Einzug in die Europäische Verfassung gefunden hat. Dann könnte eine andere Idee, nämlich die eines Europäischen Gleichstromnetzes zur Abstimmung gebracht und verwirklicht werden.

Details zum genialen Vorschlag von Physiker Gregor Czisch finden Sie auf http://www.ewmr.de/pdf/ergo_herne_2_08.pdf im Artikel „Das Stromnetz als Windspeicher“ ab Seite 14. Zusammengefaßt kann man sagen, dass das größte technische Problem der Energieversorgung die Leitungsverluste des Wechselstromnetzes sind. Deshalb muß, der Strom dort erzeugt werden wo er auch verbraucht wird. So lautet zumindest das von den Energieversorgern stets vorgebrachte Hauptargument für den weiteren Bedarf an Atom- und Kernkraftwerken. Alternative Energien können, laut Aussage der Energieversorger, allenfalls als Zulieferer dienen, da bei uns nun mal der Wind nicht beständig weht und bei der Sonnenenergie ist es auch nicht besser.

Als Lösung schlägt Herr Czisch vor, alle Europäischen Stromanbieter mit einem 600 Volt Gleichstromnetz zu verbinden, der Strom soll dann erst auf dem Weg zum Endkunden wieder in Wechselstrom verwandelt werden.

Bei Gleichstrom sind die Leitungsverluste drastisch geringer als bei Wechselstrom und so wäre es möglich, ein Transeuropäisches Netz zu bauen, bei dem Solarenergie aus den Mittelmeerländern und Nordafrika in Kombination mit Windenergie aus dem Norden Europas und anderen alternativen Techniken bereitstellt. Dadurch könnte realistisch ein Energiemix aus alternativen Quellen entstehen, der Atom- und Kohlekraftwerke über kurz oder lang obsolet werden liesse. Technische Nachteile gibt es nach seinen Berechnungen keine und seine Argumentation ist selbst für den Leihen wie mich einleuchtend.

Auf parlamentarischem Wege ist der Bau eines solchen Supernetzes allerdings gegen den zu erwartenden Widerstand der Energieversorger fast nicht durchzusetzen. Aber ein Europaweiter Volksentscheid könnte mit einem Schlag die endlosen Diskussionen, und das vor und zurück im Atomausstieg, beenden und scheinbar unlösbare Probleme lösen helfen.

Ich kann mir auch gut vorstellen, das später, nach einer Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden in die Verfassung und mit wachsendem Eindruck der Bevölkerung, tatsächlich etwas erreichen zu können, mehr Ideen dieser Größenordnung zu Tage kommen.

Von grundlegender Bedeutung dafür wäre allerdings, das, wie im Berliner Modell, auch auf Bundesebene allgemeinere Fragen per Volksentscheid abgestimmt werden können.

Ich hoffe, daß ich die Diskussion durch ein paar Impulse bereichern konnte und meine Vorschläge nicht vorschnell zu den Akten gelegt werden. Meine Hoffnung ist auch, dass sich einige Politiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von meiner Begeisterung anstecken lassen und ihrerseits eine neue Diskussion über in den eigenen Reihen anregen.

Mit freundlichen Grüßen,
Andreas Kielb

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