Swen Schulz [SPD]

Sehr geehrte Frau..., Sehr geehrter Herr...,

leider enthält Ihre E-Mail keinen Absender, so dass ich Sie leider nicht direkt ansprechen kann. Normalerweise beantworte ich keine anonymen Zuschriften. Aber in diesem Falle gehe ich davon aus, dass Sie vergessen haben, sich als Absender einzutragen.
Lassen Sie mich kurz darauf eingehen, wie auf der von Ihnen genannten homepage das Petitionswesen dargestellt wird. Es ist nicht richtig, dass eine Petition mit Ende einer Legislaturperiode nicht weiter beraten wird und der Diskontinuität unterliegt. Vielmehr wird eine Petition fortlaufend und unabhängig von einer Legislaturperiode beraten.
Aber nun zum Thema.

Ich bin ein absoluter Befürworter, wenn es um die Einführung von Instrumenten der direkten Demokratie in unser Grundgesetz geht.

Die Einführung von Elementen direkter Demokratie stellt aus meiner Sicht eine sinnvolle Ergänzung zum parlamentarisch-repräsentativen System dar. Dadurch bekämen die Bürgerinnen und Bürger über ihre Teilnahme an den Wahlen zum Deutschen Bundestag hinaus endlich auch die Möglichkeit, direkt auf die Bundespolitik und deren Entscheidungen Einfluss zu nehmen und selbst mit zu gestalten. Das kann nicht zuletzt auch zu einer Belebung der parlamentarischen Demokratie führen.
Die SPD-Bundestagsfraktion vertritt schon seit vielen Jahren die Position, die plebiszitären Elemente im Grundgesetz insgesamt zu stärken und den Bürgerinnen und Bürgern mehr Möglichkeiten zur direkten Teilhabe zu verschaffen. So brachte die SPD-Bundestagsfraktion bereits 1993, im Anschluss an die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, einen Gesetzentwurf ein, mit dem ein Volksentscheid auf Bundesebene ermöglicht werden sollte.
Im Jahr 2002 verständigten wir uns mit unserem damaligen Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen und erarbeiteten gemeinsam einen erneuten Antrag zur Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden (Bundestags-Drucksache 14/8503). Dafür müsste allerdings das Grundgesetz geändert werden und eine solche Verfassungsänderung bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages und zwei Drittel der Stimmen des Bundesrates. Da die CDU/CSU-Fraktion die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung damals ablehnte, kam diese Mehrheit nicht zustande.
Zuletzt hatten die Koalitionsfraktionen der vergangenen Wahlperiode im Herbst 2004 dazu einen Anlauf unternommen und einen entsprechenden Gesetzentwurf mit der Opposition diskutiert. Die FDP hatte bereits Dialogbereitschaft und grundsätzliche Zustimmung signalisiert, doch auch dieses Mal ließen sich die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion nicht umstimmen.
Für die SPD war das Thema Volksgesetzgebung damit aber keinesfalls vom Tisch. Wir haben unserer Forderung dann erneut in unserem Wahlprogramm zur Bundestagswahl im Jahr 2005 explizit Ausdruck verliehen. So hieß es darin: "Wir brauchen mehr direkte Demokratie und damit den Volksentscheid".
Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU nach der letzten Bundestagswahl haben wir erreicht, dass im Koalitionsvertrag zumindest folgende Formulierung aufgenommen wurde: "Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie werden wir prüfen".

An meinen Ausführungen merken Sie sicherlich schon, dass der Wille allein bei diesem Vorhaben leider nicht ausreicht, sondern dass die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung auf Bundesebene nur möglich ist, wenn auch die CDU/CSU dieses Vorhaben endlich unterstützt. In dieser Legislaturperiode wurde leider nicht erkennbar, dass sie von ihrer bisherigen Position abrücken werden. Und ich befürchte, dass auch zukünftig die CDU/CSU bei ihrer Position bleiben und das Thema ignorieren wird.
Meines Erachtens sollte sich die Bundespolitik der direkten Demokratie nicht verschließen, zumal sie auf der Ebene der Bundesländer und in den Kommunen bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist und sich grundsätzlich auch bewährt hat.
Obwohl Sie sich eigentlich nur bezüglich der Einführung von direkter Demokratie in das Grundgesetz an mich gewandt haben, möchte ich gerne kurz auf die Situation in Berlin zu dieser Thematik eingehen. Sicherlich ist es interessant für Sie zu erfahren, welche Entwicklungen stattgefunden haben und welche Neuerungen in der Stadt und insbesondere in den Bezirken eingeführt wurden.

Lange Zeit konnte Berlin beim Thema direkte Demokratie nicht mithalten, war stets Schlusslicht und landete Jahr für Jahr auf Platz 16 beim Bundesländervergleich. Im Jahr 2005 ist es jedoch auf Initiative der Koalition aus SPD und DIE LINKE endlich gelungen, den Weg frei zu machen für mehr Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte der Bürgerinnen und Bürger in den Bezirken. Durch diese Initiative, die im Abgeordnetenhaus von Berlin von allen Fraktionen, außer der CDU-Fraktion, unterstützt wurde, hat Berlin endlich seine Außenseiterposition aufgegeben und einen ersten Schritt in Richtung einer Landes- und Bezirkspolitik unternommen, bei der die Bürgerinnen und Bürger als Mitgestalter, das heißt als aktive Bürgerinnen und Bürger, akzeptiert und ernst genommen werden. Der Verein "Mehr Demokratie e.V." bescheinigte Berlin sogar die "bürgerfreundlichste Regelung, die in Deutschland je von einem Parlament beschlossen wurde".

In meinem Wahlkreis fand beispielsweise im Februar letzten Jahres der erste Bürgerentscheid im Bezirk Spandau statt, es ging dabei um die Zukunft der Halbinsel am Großglienicker See. Inzwischen wurden in dieser Form die Bürgerinnen und Bürger sowohl in einzelnen Bezirken als auch in Gesamt-Berlin schon mehrere Male an die Wahlurne gerufen und viele von ihnen haben ihr Recht wahrgenommen. Hier seien nur die Bürgerentscheide zum Thema "Tempelhof" oder "Pro-Religion" zu erwähnen.
Anfang 2008 hat die Mehrheit im Abgeordnetenhaus von Berlin weitere Schritte zur Vereinfachung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden unternommen - diesmal auf der Landesebene.

So können seit dem 20. Februar 2008 beispielsweise auch 16-Jährige an einer Volksinitiative teilnehmen, das war bislang nur möglich, wenn man volljährig war. Bisher wurden für einen Antrag auf Behandlung einer Volksinitiative 90.000 Unterschriften benötigt, nach der Neuregelung sind nur noch 20.000 Unterschriften notwendig.

In Berlin haben meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD damit einen großen Durchbruch erlangt. Ein Durchbruch, der auf der Bundesebene zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht erreichbar scheint.

Notwendig wäre, dass auch die CDU/CSU endlich den Trend hin zu mehr direkter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern und die Annahme und Akzeptanz dieser Verfahren sowohl von Seiten der Politik als auch von Seiten der Bürgerinnen und Bürger erkennen, ihre Position noch einmal überdenken und ihre Vorbehalte gegenüber direkter Demokratie endlich über Bord werfen. Nur dann kann es uns gelingen, mehr direkte Demokratie im Grundgesetz zu verankern.

Falls Sie weiteren Gesprächsbedarf auch zu anderen Themen haben, können Sie gerne zu einem persönlichen Gespräch in meine Bürgersprechstunde in meinem Bürgerbüro in der Bismarckstr. 61 in Spandau kommen. Einen Termin können Sie unter der Telefonnummer 030/ 36 75 70 90 vereinbaren.

Darüber hinaus erreichen Sie mich auch direkt unter
Swen Schulz, MdB
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
oder per E-Mail unter
swen.schulz@bundestag.de

Mit den besten Grüßen
Swen Schulz, MdB

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