Dieter Lauinger [B'90 / Die Grünen]

Sehr geehrte Damen und Herren,

Bündnis 90/Die Grünen haben  in der letzten Legislatur einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene eingebracht, um im Grundgesetz  mehr Mitbestimmungsrechte  für die Wählerinnen und Wähler zu verankern. Der Bundestag stimmte über unseren Antrag für Direkte Demokratie im Grundgesetz ab. Wie schon in der letzten Wahlperiode blockierte die Union die Gesetzesinitiative mit ihrer Veto-Macht. Direkte Demokratie sei populismusanfällig, primitiv und öffne der Demagogie Tür und Tor. Mit diesen jämmerlichen Aussagen begründete die Union ihr immergleiches Nein. Wenn dass stimmt, dann wäre die CDU Unterstützung für die Volksentscheide Pro-Reli und das Offenhalten des Flughafens Tempelhof in Berlin Populismus pur gewesen. Tatsächlich pflegt die CDU ein taktisches Verhältnis zu Volksbegehren und Volksentscheiden. Dort wo sie ihr politisch nutzen, bedient sie sich als erste des Instruments, im übrigen blockiert sie jeden Ausbau der Bürgerrechte.

Deshalb dürfen die Bürgerinnen und Bürger in sechzehn Bundesländern über öffentliche Belange per Volksinitiative, Volksbefragung oder Volksentscheid mitentscheiden. Auf Bundesebene haben sie diese Rechte weiterhin nicht.

Dabei gibt eine breite Basis quer über alle politischen Lager, die sich für den Ausbau direkter Demokratie auf Bundesebene einsetzen. Und es gibt sehr gute Erfahrungen aus den Ländern, die alle nun Elemente direkter Demokratie eingeführt haben. Das ist das politische Anliegen von vier der fünf Bundestagsfraktionen. Ich werde mich dafür einsetzen, den Gesetzesentwurf unter neuen Mehrheitsverhältnissen in der nächsten Wahlperiode wieder  einzubringen.

Die Bündnis 90/Die Grünen schlagen Folgendes vor:

Volksinitiative
400.000 Stimmberechtigte können einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Der Bundestag muss sich mit diesem Gesetzentwurf befassen. Die Vertrauensleute der Volksinitiative haben das Recht auf Anhörung.

Volksbegehren
Hat das Parlament den eingebrachten Gesetzentwurf nicht innerhalb von acht Monaten verabschiedet, können die Vertrauensleute der Volksinitiative die Durchführung eines Volksbegehrens einleiten. Fünf Prozent der Stimmberechtigten, das heißt rund drei Millionen Bürgerinnen und Bürger müssen innerhalb von sechs Monaten das Volksbegehren unterstützen.

Volksentscheid
Ist das Volksbegehren erfolgreich, findet innerhalb von sechs Monaten ein Volksentscheid statt. Ein Gesetz kommt dann durch Volksentscheid zu Stande, wenn ihm die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat, sofern diese Mehrheit mindestens 15 Prozent der Stimmberechtigten entsprich (Zustimmungsquorum). Verfassungsänderungen erfordern ein höheres Zustimmungsquorum von 25 Prozent der Stimmberechtigten.
Referendum über völkerrechtliche Verträge
Um auch einen Volksentscheid über die EU-Verfassung zu ermöglichen, schlagen wir vor, dass auch der Bundestag in bestimmten Fällen Volksentscheide initiieren kann.

Föderalismus berücksichtigt
Der Gesetzentwurf wird der föderativen Verfassung der Bundesrepublik gerecht. Nach Schweizer Vorbild werden bei Verfassungsänderungen und bei Gesetzen, die im parlamentarischen Verfahren der Zustimmung des Bundesrates bedürften (zustimmungspflichtige Gesetze), die Stimmen zweifach gezählt: Das Ergebnis der Abstimmung in jedem einzelnen Bundesland gilt dabei als Abgabe seiner Bundesratsstimmen. Bei zustimmungspflichtigen Gesetzen muss danach die Mehrheit der Abstimmenden in so vielen Ländern dem Gesetzentwurf zustimmen, dass deren Stimmen einer Mehrheit im Bundesrat entsprechen. Bei Verfassungsänderungen ist eine Mehrheit in so vielen Ländern erforderlich, dass deren Stimmen einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat entsprechen.

Verfahrensregelungen

Die vorgesehenen langen Fristen (circa zwei Jahre vom Start der Volksinitiative bis zum Volksentscheid) ermöglichen einen gründlichen Diskussionsprozess. Das Parlament hat die Möglichkeit, einen eigenen Gesetzentwurf zum selben Gegenstand mit zur Abstimmung im Volksentscheid zu stellen (Konkurrenzvorlage). Das Bundesverfassungsgericht kann die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Volksbegehrens schon ab dessen Beantragung überprüfen (sogenannte ex-ante-Kontrolle). Mögliche Antragsteller sind die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestags. Somit können langwierige Diskussionen und aufwändige Abstimmungen über gegebenenfalls verfassungswidrige Vorlagen frühzeitig vermieden werden.

Ausnahmen

Grundsätzlich sollen sich Volksentscheide auf alle Politikbereiche beziehen dürfen. Ausnahmen sind lediglich das Haushaltsgesetz selbst, Abgabengesetze und die Wiedereinführung der Todesstrafe. Finanzwirksame Volksinitiativen sind dagegen ausdrücklich zulässig.

Die neuen Beteiligungsrechte müssen sich ebenso wie parlamentarische Initiativen und Entscheidungen an den Grundrechten, den unveränderlichen Grundentscheidungen der Verfassung sowie den übrigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ausrichten.

Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid sind Instrumente der direkten Beteiligung und der direkten Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger. Bündnis 90/Die Grünen setzt sich schon lange dafür ein. Wir wollen, dass durch die Volksinitiative auch Gesetzesvorschläge von außen das Parlament erreichen, dass sich Bürgerinnen und Bürger direkter in politische Entscheidungen einbezogen sind. Und wir wollen, dass unsere Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, wichtige Sachfragen rechtlich bindend selbst zu entscheiden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit weiterhelfen.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Lauinger

Inhalt abgleichen